Marion Matousek (MM): Nein, wir haben viele langfristige Lieferengpässe und deren Komplexität hat eher noch zugenommen.
Venanzio Costa (VC): Produktegruppen, die Aufwände von unserer Seite erfordern, stabilisieren sich im Verlauf von ein paar Monaten. Unterdessen entstehen aber an anderen Orten schon wieder neue Brandherde.
MM: Am häufigsten kommt es vor, dass wir andere Packungsgrössen, Generika-Produkte und in einem geringeren Ausmass andere Darreichungs- bzw. Zubereitungsformen bestellen (siehe Kasten).
Konkrete Massnahmen
Folgende Massnahmen gegen Medikamentenengpässe kommen im Spital Limmattal zur Anwendung (nach Häufigkeit aufgelistet):
MM: Bei Aspirin i. v., das schon länger nicht mehr verfügbar ist, mussten wir auf die orale Form umstellen und definieren, wie mit dem Restbestand umzugehen ist. Wer erhält das Medikament intravenös, wer muss es künftig mit welcher Dosierung schlucken? Die Kommunikation richtete sich an den Rettungsdienst, den Notfall, die Kardiolog:innen und Neurolog:innen. Die Sachlage musste innert vier Tagen geklärt sein, weil sonst der Ersatz auch nicht mehr lieferbar gewesen wäre.
MM: Um die Patientensicherheit zu gewährleisten, ist es zentral, immer alle relevanten Player einzubeziehen. So auch die Lagermitarbeitenden, welche die Wagen für die OP-Sääle laden, wenn z. B. Anästhetika anders dosiert werden müssen. Bei der Schmelztablette Temesta Expidet, bei welcher der Engpass noch weit bis ins 2024 dauern wird, ist es wichtig das Gesundheitspersonal zu sensibilisieren, dass es problemlos möglich ist, auf Tabletten umzusteigen, entgegen der weitverbreiteten Meinung, dass die Wirkstoffe von Schmelztabletten über die Mundschleimhaut rascher aufgenommen werden.
VC: Nicht zu vergessen ist das Problem, dass derart viele Informationen bei den Mitarbeitenden und Patient:innen Unruhe und Verwirrung auslösen. Sie sind mit der Zeit überfordert, mit dieser horrenden Menge an Information umzugehen.
Wir führen in der Spitalapotheke eine Excel-Datei, mittlerweile bei kritischen Medikamenten teilweise mit zwei Ersatzprodukten, die auch stets à jour sein müssen.
Marion Matousek
MM: Der zusätzliche Personalaufwand, um die Lieferengpässe zu bearbeiten, beträgt im Spital Limmattal 60 000 Franken pro Jahr. Darin nicht enthalten sind jedoch Zusatzkosten, die u. a. durch Direktimporte bzw. durch teurere Ersatzprodukte entstehen oder Kosten für eine zusätzliche externe Lagerung.
MM: Bis eine Produktion auf die Beine gestellt werden kann, weil etwas nicht mehr lieferbar ist, dauert es meist lange und selbst herzustellen ist kaum kostendeckend. Gerade bei Marktrückzügen, die auch auf der internationalen Ebene erfolgen, stellt sich zudem die Frage, ob es sich bei der Therapie noch um den «State of the Art» handelt. Oft steckt eine Richtlinie dahinter, die in der Schweiz noch nicht angepasst worden ist.
Ich erwarte von der Politik, anstatt die Lösung den Spitälern aufzubürden, vernünftig und konstruktiv tätig zu werden und z. B. saubere, partnerschaftliche Vereinbarungen mit EU-Lieferanten abzuschliessen.
Venanzio Costa
VC: Früher zeigte unser Meldesystem beim Erreichen einer bestimmten Schwelle an, dass wir nachbestellen müssen. Heutzutage müssen wir bei Produktgruppen mit Problemen jeweils manuell Tag für Tag immer wieder nachprüfen, wieviel Reserve wir noch haben, ob wir ein Ersatzprodukt zur Hand haben oder ob und welche Massnahme wir ergreifen müssen.
MM: Wir führen in der Apotheke eine Excel-Datei, mittlerweile bei kritischen Medikamenten teilweise mit zwei Ersatzprodukten, die auch stets à jour sein müssen.
VC: Diese zusätzlichen Aufgaben sind so aufwendig, dass wir andere Aufgaben, die ebenfalls wichtig wären, vernachlässigen müssen.
Damit alte Medikamente auf dem Markt bleiben, müssen ihre Preise erhöht werden.
Marion Matousek
VC: Ich erwarte von der Politik, anstatt die Lösung den Spitälern aufzubürden, vernünftig und konstruktiv tätig zu werden und z. B. saubere, partnerschaftliche Vereinbarungen mit EU-Lieferanten abzuschliessen. Wir fühlen uns in den Spitälern von der Politik alleingelassen.
MM: Kein einziges der neuen Medikamente hat einen Lieferengpass, weil sich deren Produktion lohnt und die Firmen bei diesen Präparaten Gewinne erzielen können. Um sicherzustellen, dass auch weiterhin alte, wenig rentable Medikamente auf den Markt gelangen, müssen deren Preise angehoben werden.
MM: Pflichtlager sind zwar gut, aber sie entsprechen meiner Meinung nach einer Erhöhung der Lagerkapazität bei den Zulieferern, die wie ich meine wesentlich sinnvoller wäre. Insgesamt werden auch unpopuläre Entscheide notwendig sein, um das Problem besser anzugehen. Es ist wichtig, miteinander zu sprechen, anstatt die heisse Kartoffel zwischen Kanton, Bund, Krankenkassen und der Pharma hin- und herzuschieben. Die Volksinitiative: «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» fördert diese Diskussion und kann in dieser Hinsicht eine sinnvolle Rolle spielen.
Beitragsbild: Marion Matousek im Einsatz in der Spitalapotheke (Foto: Spital Limmattal).