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23. November 2021

Focus Humanfaktoren

Interdisziplinäre Boards

«Schwarmkompetenz nutzbar machen»

«In Boards kommt das Wissen aller Beteiligten zusammen. Damit dies optimal geschehen kann, ist eine gute Führung und eine gemeinsame Sprache notwendig», sagt Thomas Hundsberger, Leitender Arzt der Klinik für Neurologie am Kantonsspital St.Gallen (KSSG) im Interview.
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Welche Rolle spielt der Faktor Mensch in interdisziplinären Boards?

Wir sind in diesen Boards alles Menschen und nicht nur Gesundheitsfachleute. Wir haben alle unsere eigenen Interessen und Kompetenzen. Manche Themen interessieren uns mehr, manche etwas weniger. Wir haben Tage, an denen wir mehr und Tage an denen wir weniger engagiert sind. Aber dadurch, dass in den Boards Entscheidungen auf viele Schultern verteilt werden bzw. die Schwarmintelligenz genutzt wird, profitieren nicht nur die Patientinnen und Patienten, sondern es können sich auch die Teilnehmenden der Boards gegenseitig weiterbringen. Speziell für unsere Assistenzärztinnen und -ärzte sind Boards ein gutes Fortbildungsinstrument. Neben der Möglichkeit zum Netzwerken erhalten sie auch Einblick in aktuelle Entwicklungen von anderen Disziplinen.

PD Dr. med. Thomas Hundsberger

Was braucht es, dass solche Boards gut funktionieren können?

Wichtig ist eine gute Führung, die idealerweise einen Kurs für die Moderation solcher Boards absolviert hat. Der Moderierende sollte insbesondere darauf achten, dass die Meinungen aller im Board Beteiligten in die Entscheidung einfliessen. Ferner braucht es ein Protokoll, in welchem gemeinsame Entscheide oder in seltenen Fällen auch Nichtentscheide, die im Dissens zustande gekommen sind, für die nachbehandelnden Institutionen dokumentiert sind.

In interdisziplinären Boards – hier ein Beispiel aus der Klinik für Neurologie am Kantonsspital
St.Gallen (KSSG) – werden Entscheidungen bezüglich einzelner Patientenfälle auf viele
Schultern verteilt. (Foto: KSSG)

Wie sieht die «Landschaft» der Boards im Kantonsspital St.Gallen aus?

Die Tumorboards sind das Standardmodul. Sie haben eine therapeutische Ausrichtung und es ist immer auch ein Pathologe mit am Tisch. Seit vielen Jahren gibt es aber auch Fallkonferenzen, die unterschiedlich von Kolloquium bis zu Kränzli benannt sind. Auch bei diesen geht es darum, meist komplexe Patientenfälle mit einer interdisziplinären Sichtweise zu besprechen und danach die Patienten zu beraten. Dies jedoch ohne Beteiligung von Pathologen. In der Neurologie ist die Vielfalt an unterschiedlichen Boards beziehungsweise Fallkonferenzen gross. Das Kolloquium für Schlaganfallpatienten beispielsweise verfolgt einen therapeutischen Ansatz, wohingegen bei den Genetik-Boards die Diagnostik im Vordergrund steht. In den Parkinson-Fallkonferenzen findet nicht nur ein interdisziplinärer, sondern auch ein interprofessioneller Austausch statt, auch mit Vertretenden aus der Ergotherapie, der Physiotherapie und mit Parkinson Nur­ses. Insbesondere bei den seltenen Erkrankungen und den Stoffwechselerkrankungen geht es darum, die Schwarmintelligenz zu nutzen um diagnostisch weiter zu kommen.

An welche Grenzen stossen Sie in diesen Boards?

Im Vergleich zu den Tumorboards fehlen in den Fallkonferenzen noch adäquate Instrumente, um komplexe Situationen abzudecken bzw. im Protokoll entsprechend zu dokumentieren. Die vorhandenen Instrumente stammen aus den Tumorboards und wir müssen in den Fallkonferenzen mit Begriffen arbeiten, die für diese Bereiche meist nicht adäquat sind. Mit anderen Worten gilt es für die Fallkonferenzen noch eine gemeinsame Sprache mit angepassten systematischen Begrifflichkeiten zu entwickeln. Am Kantonsspital St.Gallen ist bereits ein Ausschuss mit diesem Ziel ins Leben gerufen worden.

   

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