Eigentlich will die EU mit der neuen Medizinprodukteverordnung (Regulation on Medical Devices, MDR), die seit dem 26. Mai 2021 gilt, die Patientensicherheit stärken. Dies als Antwort auf den Skandal um fehlerhafte Brustimplantate aus Frankreich. Die Umsetzung der MDR führt aber im europäischen Raum bei vielen Medizinprodukten zu Versorgungslücken, weil die EU-Kommission für tausende dieser Produkte neue Zertifikate verlangt. Diese werden in einem langwierigen und teuren Verfahren ausgestellt, unabhängig davon, ob es sich um innovative oder altbewährte Produkte handelt. Jeweils nach fünf Jahren müssen dieselben Produkte wieder zertifiziert werden. Es besteht das Risiko, dass viele Innovationen aus Europa bzw. der Schweiz, gar nicht mehr auf die hiesigen Märkte gelangen, weil Firmen die EU-Regulierungen nicht mehr stemmen können bzw. wollen. Vielmehr zeichnet sich ab, dass solche Firmen ihre Produkte zuerst auf den US-Markt bringen (siehe ARD-Mediathek, Report München vom 25.4.2023. ab Minute 19).
Der Aufwand, innert nützlicher Frist an Ersatzprodukte zu kommen ist für das medizinische
Dr. med. Daniel Borer, Leitender Arzt der Klinik für Anästhesiologie, Kantonsspital Winterthur
Fachpersonal und den Einkauf erheblich.
Hinweise darauf, wie die Situation in Schweizer Spitälern und Kliniken aussieht, geben Verantwortliche des Kantonsspitals Winterthur (KSW). «Eine solche Situation haben wir in der Vergangenheit selten erlebt. Es mangelt immer wieder an unterschiedlichstem medizinischem Verbrauchsmaterial. Der Aufwand, innert nützlicher Frist an Ersatzprodukte zu kommen, ist sowohl für das medizinische Fachpersonal als auch für den Einkauf erheblich», sagt Dr. med. Daniel Borer, Leitender Arzt der Klinik für Anästhesiologie am KSW. Im KSW fehlen aktuell über 70 Medizinprodukte, die laut MDR rezertifiziert werden müssen.
«Diese Ausfälle können wir zurzeit mit Ersatzartikeln decken», ergänzt Patrick Müller, Leiter Supply Chain Management, und fügt an: «Die Spitäler helfen einander wenn nötig mit Material aus, es kämpfen alle mit denselben Unwägbarkeiten.»
Das Schweizer Parlament hat früh auf diese Versorgungsproblematik reagiert und dem Bundesrat bereits im November 2022 die Motion 20.3211 «Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten» zur Umsetzung überwiesen. Der Bundesrat ist beauftragt, das nationale Recht so anzupassen, dass die Schweiz neu auch Medizinprodukte aussereuropäischer Regulierungssysteme mit vergleichbar strengen Anforderungen anerkennt, insbesondere Medizinprodukte, die von der U.S. Food & Drug Administration (FDA) für die USA zugelassen werden.
Das Wohl und die Gesundheit der Patient:innen sollen bei der Umsetzung der Motion 20.3211 ‹Für mehr Handlungsspielraum bei der Beschaffung von Medizinprodukten› oberste Priorität haben.
Damian Müller, Ständerat
Damian Müller, Ständerat und designierter Präsident von Swiss Medtech sagt: «Ich erwarte vom Bundesrat, dass er den Auftrag des Parlaments mit der gebotenen Dringlichkeit an die Hand nimmt. Jetzt sind Tempo und Pragmatismus gefragt.
Bei der Umsetzung sollen die nachhaltige Sicherstellung der Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit sicheren und wirksamen Medizinprodukten sowie der rasche Zugang der Patient:innen zu den innovativsten Produkten und Therapien im Zentrum stehen. Das Wohl und die Gesundheit der Patient:innen haben oberste Priorität. Der Bundesrat soll den Auftrag des Parlaments zudem auch als Chance nutzen, um die Schweiz mit einer fortschrittlichen Regulierung in ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu stärken».
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