Christina Schumacher (CS): Wir vom SBK hätten uns gewünscht, dass der indirekte Gegenvorschlag parallel mit den anderen Forderungen der Pflegeinitiative umgesetzt würde. Der Bundesrat hat nun aber beschlossen, die Beratung zu den Punkten des Gegenvorschlags vorzuziehen.
Kristian Schneider (KS): Ich möchte zu bedenken geben, dass die Anliegen des Gegenvorschlags nun unbefristet gelten werden und nicht mehr nur acht Jahre, wie in der vom Parlament bereits beschlossenen Version. Etappenweises Vorgehen ist sinnvoll, um die Ausbildungsoffensive und die Möglichkeit der direkten Abrechnung von gewissen Pflegeleistungen zu Lasten der OKP zu sichern, bevor beide verwässert werden.
CS: Wir sind uns bewusst, dass wir ungeduldig sind. Die Lage ist aber ernst und der Pflegenotstand ist Realität. Trotzdem kann das Berner Bildungszentrum Pflege beispielsweise die Kurse weniger als bisher füllen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass gewisse Personen abwarten, bis eine bessere Entlöhnung während der Studienzeit Tatsache wird. Diese war ja Teil des indirekten Gegenvorschlags.
KS: Das unterstütze ich. Aber neben der nationalen Ebene bestehen auch Umsetzungsmöglichkeiten auf Betriebsebene, auf der Ebene zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. in den regionalen, kantonalen und interkantonalen Ausbildungsverbünden und nicht zuletzt in den einzelnen Kantonen. Auf allen Ebenen kann und muss jetzt schon vieles an die Hand genommen werden.
Unabhängig von der Pflegeinitiative ?
KS: Die Initiative entbindet die Arbeitgeber und Kantone nicht von ihrer Verantwortung. Das Spitalzentrum Biel hat Massnahmen mit eher kurzfristiger Perspektive ergriffen, der Kanton Bern mit einem mittelfristigen Horizont. Es gilt in Bern für Spitäler und Kliniken beispielsweise ein Ausbildungszwang mit Bonus-Malus-System, und es ist zu überlegen, wie das System noch optimiert werden könnte. Den nationalen Rahmen der Pflegeinitiative hingegen brauchen wir, um den Pflegeberuf langfristig aufzuwerten. Eine langfristige nationale Pflegestrategie zu entwickeln, steht also im Vordergrund.
CS: Im Kanton Bern besteht für die Spitäler und Kliniken auch eine GAV-Pflicht. Da sind wir zumindest im Spitalbereich weiter als andere Kantone und können auf Bestehendem aufbauen und dieses ausbauen.
CS: Jedes Spital muss sich die Frage stellen, was ihm das Pflegepersonal wert ist und wie es im Betrieb gehalten werden kann. Das Spitalzentrum Biel hat beispielsweise die Zulagen für Nacht- und Wochenenddienste von sechs auf zehn Franken pro Stunde erhöht. Das macht einen Unterschied und ist ein wichtiges Zeichen im Sinne einer personalsichernden Massnahme. Denn nichts ist so teuer wie eine hohe Personalfluktuation.
KS: Genau, es geht nicht nur darum, das budgettechnisch Mögliche auszureizen. Vielmehr gilt es, Zeichen der Anerkennung zu setzen – und zwar jetzt und nicht erst in vier Jahren. Schliesslich ist die Pflegeinitiative auf dem Boden der fehlenden Anerkennung für den Pflegeberuf entstanden.
CS: Es ist erwiesen, dass es auch in Zeiten des grössten Personalmangels immer Betriebe gibt, die trotzdem genügend Fachkräfte haben. Leadership ist wichtig, das kann man nicht wegdiskutieren und auch nicht wegdelegieren. Niemand kann sich jetzt ausruhen, weil die Pflegeinitiative angenommen worden ist und damit die Probleme gelöst sein werden. Dafür ist sie viel zu spät zustande gekommen.
KS: Es wäre der Sache nicht dienlich, wenn überrissene gewerkschaftliche Lohnforderungen in der Debatte überhandnähmen. Wenn wir über die Berufsrolle reden und über attraktive Zusammenarbeitsformen im Spital mit Pflegenden, die nicht mehr nur als verlängerter Arm der Ärzteschaft wahrgenommen werden, dann können wir sehr viele Leute abholen. Für diese Diskussion brauchen wir aber den Bund nicht. Als Spitaldirektor muss ich diese mit Frau Schumacher führen, mit dem Kanton Bern, da habe ich eine regionale Verantwortung. Ich wiederhole: wir müssen die Anerkennung der Pflege bereits jetzt und unabhängig von der Pflegeinitiative steigern.
CS: Nichtsdestotrotz und bei allem Verständnis für die Befindlichkeiten der nationalen Parlamentarier:innen, haben wir in der pflegerischen Versorgung dieses Landes ein Problem. Es gibt Momente, da muss man sich einfach zusammenraufen, das erwarte ich von unseren nationalen Politiker:innen.
Beitragsbild: Spitalzentrum Biel