Seit drei Jahren beraten Bund, Parlamentskommissionen, Kantone, Versicherer und Spitäler an einer Reform der Tarifberechnung für Spitalaufenthalte. Es ist eine weitgehend technische Diskussion, die bisher in der Öffentlichkeit keine Aufmerksamkeit gefunden hat, obwohl die politischen Auswirkungen des neuen rechtlichen Regelwerkes äusserst einschneidend wären.
Es ist unverständlich, dass ausgerechnet denjenigen Spitälern, die in Krisensituationen wie der Pandemie die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten, durch eine unausgewogene Reform die Grundlagen für ihre besondere Rolle entzogen werden sollen.
Dr. med. h.c. Uwe E. Jocham, Direktionspräsident der Insel Gruppe und Vorstandsmitglied von H+ und von Universitäre Medizin Schweiz (unimedsuisse)
Die nun vom Bund vorgelegte Reformvorlage ist für die versorgungsrelevanten Spitäler, die die Notfall- und Endversorgung sowie umfassende Vorhalteleistungen sicherstellen, alarmierend. Das zentrale Element der Vorlage sieht vor, dass für alle Spitäler – unabhängig von ihren Leistungen und Kosten – der Tarif gelten soll, der den Kosten der 30 Prozent kostengünstigsten Spitäler entspricht (Benchmark auf dem 30-Prozent-Perzentil).
Der Ansatz setzt Anreize einer gezielten Selektion auf «gesunde» und kostengünstige Patient:innen und gut planbare Eingriffe, während er breit aufgestellte, versorgungsrelevante Spitäler benachteiligt. Diese Spitäler erbringen zentrale Leistungen in essenziellen Bereichen wie Pädiatrie und Neonatologie, betreiben Notfallstationen und übernehmen komplexe Fälle, die hochspezialisierte Behandlung erfordern.
Würde die Reform wie derzeit vorgeschlagen umgesetzt, könnten die versorgungsrelevanten Spitäler die Versorgungssicherheit für alle Patient:innen nicht mehr gewährleisten. Sie wären nicht mehr in der Lage, ihren umfassenden Versorgungsauftrag zu erfüllen, da die bereits heute bestehende Unterdeckung ihrer Kosten weiter verschärft würde.
Eine ähnliche Gesetzesanpassung hat in Deutschland zu einer massiven Versorgungskrise und Rettungsmassnahmen für Spitäler geführt. «Es ist unverständlich, dass ausgerechnet denjenigen Spitälern, die in Krisensituationen wie der Pandemie die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten, durch eine unausgewogene Reform die Grundlagen für ihre besondere Rolle entzogen werden sollen», betont Dr. med. h.c. Uwe E. Jocham, Direktionspräsident der Insel Gruppe und Vorstandsmitglied von H+ sowie unimedsuisse. Er fordert im Namen der versorgungsrelevanten Spitäler, die derzeit diskutierte Anpassung der Verordnungen zur Tarifermittlung auszusetzen.
Diese Forderung wurde in einem offenen Brief an Bundespräsident Alain Berset deutlich gemacht. Die Spitäler haben bereits in vorangehenden Schreiben und Stellungnahmen Anpassungen gefordert und Vorschläge für eine Reform eingereicht. Eine zielführende Reform muss die unterschiedlichen Rollen der Spitäler in der Versorgung und den Bedarf der Bevölkerung nach einer qualitativ hochwertigen Spitalversorgung im gesamten Versorgungsspektrum angemessen berücksichtigen – ansonsten müssen sich die Kantone darauf einstellen, dass sie innert kürzester Zeit Rettungsschirme für die versorgungsrelevanten Spitäler ihrer Region bilden müssen.
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