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10. Oktober 2023

FOCUS MEDIKAMENTENMANGEL

Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit

«Wir brauchen dringend eine Rollenklärung»

«Um die nationale Medikamentenversorgung zu verbessern, müssen wir in der Schweiz dringend klären, wer die Gesamtverantwortung trägt», fordert Enea Martinelli. 
Competence Martina Greiter

Autorin

Martina Greiter

Redaktorin Competence deutsche Schweiz

martina.greiter@hplus.ch

Sie kämpfen seit zwei Jahrzehnten gegen Medikamentenengpässe. Nehmen diese nun etwas ab?

Dr. pharm. Enea Martinelli, im Vorstand der Gesellschaft Schweizerischer Amts- und Spitalapotheker (GSASA), Vizepräsident pharmaSuisse, Chefapotheker spitäler fmi ag, enea.martinelli@spitalfmi.ch

Wenn bei einzelnen Medikamenten kein Engpass mehr besteht, ist dies kein Indiz für eine Verbesserung. Bereits heute verschwinden alte, patentfreie Medikamente ganz vom Schweizer Markt, weil Pharma-Firmen diese aus Rentabilitätsgründen entweder nicht mehr produzieren oder aufgrund des ungünstigen regulatorischen Umfelds nicht mehr in die Schweiz liefern.

Eine bessere Versorgung ist also nicht absehbar?

Es gibt Indikatoren, die sogar eher auf das Gegenteil hindeuten. Für die bestehenden Engpässe können zwar Lösungen gefunden werden, die Situation wird aber weiterhin allen Beteiligten viel Energie rauben.

Welches ist die wichtigste Problemursache?

Das lässt sich so kaum beantworten. Wichtig ist sicherlich die Diversifizierung der Lieferkette auf dem globalen Markt. China liefert die Vorläuferstoffe und Indien als grösster bzw. Italien als zweitgrösster Produzent von patentfreien Medikamenten sind auf diese angewiesen. Wenn irgendwo dazwischen ein Rädchen nicht funktioniert, stockt die Lieferkette.

Es handelt sich nicht nur um ein hausgemachtes Problem. Die aktuelle Situation hat auch mit den Mechanismen des Kapitalismus zu tun.

Ist nicht auch eine Konzentration zu beobachten?

Eine aktuelle Studie¹ zeigt in der Tat, dass ein Drittel der in den USA verkauften patentfreien Präparate von einem einzigen Hersteller produziert werden. Wenn ein solcher Produzent einen Entscheid gegen eine Lieferung fällt, dann ist wiederum die globale Versorgung beeinträchtigt. Es handelt sich also nicht nur um ein hausgemachtes Problem. Die aktuelle Situation hat auch mit den Mechanismen des Kapitalismus zu tun.²

Was kann denn die Schweiz da tun?

Die Situation wird nun aktiver beobachtet. Einsicht ist der beste Weg zur Besserung. Es stellt sich aber die Frage, wer in unserem System die Gesamtverantwortung trägt. Die eigentlich verantwortlichen Kantone sind nicht in der Lage, gemeinsam Lösungen zu finden.

Der Bund soll den Lead übernehmen, wenn es darum geht, den Bedarf zu definieren und sicherere Lieferwege zu erreichen.

Hier soll die Volksinitiative «Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit» ansetzen?

Wir brauchen dringend eine Rollenklärung. Aus Sicht der Initiant:innen soll der Bund den Lead übernehmen, wenn es darum geht, den Bedarf zu definieren und sicherere Lieferwege zu erreichen. Bei welchen unverzichtbaren Medikamenten brauchen wir inländische Produktionskapazitäten? Welche Pflichtlager sind notwendig? Antworten auf solche Fragen, welche die nationale Versorgungsicherheit betreffen, müssen aus einer gesamtheitlichen Perspektive gefunden werden.

1Mariana P. Socal et al.: Competition And Vulnerabilities In The Global Supply Chain For US Generic Active Pharmaceutical Ingredients. Health Affairs 42, 3 (2023).

2Geoffrey Joyce, Director of Health Policy, USC Schaeffer Center, and Associate Professor, University of Southern California: Blame capitalism? Why hundreds of decades-old yet vitaldrugs are nearly impossible to find. The Conversation, July 20, 2023.

Beitragsbild: Canva.com

   

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